
Die Meisten von uns haben schnell ein bestimmtes Bild im Kopf, wenn sie gewisse Attribute über einen Menschen hören. Wir alle sind geprägt von Erwartungen, Vorurteilen und Stereotypen. Die Frage ist nur, wie bewusst gehen wir damit um?
Viele Jahre wusste nur ein sehr kleiner Kreis von meiner intellektuellen Hochbegabung. Da ich auch erst im jungen Erwachsenenalter davon erfuhr, war das zu meiner Schulzeit auch nie ein Thema. Gedanklich durchgespielt, wäre es mir persönlich auch sehr unangenehm gewesen, wenn ich in meiner Klasse mit diesem Label „hochbegabt “ behaftet worden wäre. Denn wie hätte sich das auf meinen Alltag ausgewirkt? Es wäre sicher gewesen, dass alles, was ich tue, ganz genau unter die Lupe genommen wird.
Denn wenn man sich offiziell dazu bekennt, hochbegabt zu sein, steht man häufig vor einem kleinen oder auch größeren Dilemma:
Vorurteile die andere über einen haben oder gewisse Erwartungen, von denen man selbst glaubt, dass andere sie von mir haben.
Mach ich etwas falsch: „Bist du dir sicher, dass du hochbegabt bist?! “
Mach ich etwas richtig: „Ach ja, für die ist das ja ohnehin superleicht und sie muss sich ohnehin kaum ansträngen.“
Der Maßstäbe meiner Mitschüler und Lehrer wäre ein anderer gewesen.
Wie verbreitet Vorurteile über Hochbegabte sind, geht aus der Studie „The mad genius steriotype: Are still alife and well”, von Tanja G. Baudson hervor.
Die Mehrheit der Teilnehmer gab an, Hochbegabte als emotional und sozial schwierig einzuschätzen [1].
Was sind Stereotype?
Stereotype sind pauschale und generalisierte Eigenschaften, die einer bestimmten Gruppe zugeschrieben werden. Da es unmöglich ist Menschen komplett zu erfassen, teilen wir sie aufgrund von Merkmalen in verschiedene Gruppen ein, wie Geschlecht, Alter, sozialer Status ect.. Um uns ein schnelles Bild von ihnen machen zu können, ohne große Anstrengungen aufwenden zu müssen. Dies geschieht meist unbewusst und es handelt sich erstmal um einen normalen menschlichen Vorgang. Es bedeutet noch nicht, dass man diese Gruppen grundsätzlich negativ bewertet.
Auch sind wir diesem Prozess nicht zwangsläufig ausgeliefert, sondern sind in der Lage ihn aktiv zu beeinflussen und zu überdenken.
Der Punkt und die Schwierigkeit liegt darin, wenn einer Person aufgrund ihrer Angehörigkeit zu einer Gruppe, festgefahrene, vorurteilende und stigmatisierende Eigenschaften zugeschrieben wird oder wenn eine Gruppe grundsätzlich mit negativen und falschen Aspekten assoziiert und diskriminiert wird [2].
Doch Menschen lassen sich nicht nur als Angehörige einer breiten Gruppe wie etwa die soziale Schicht oder Ethnie kategorisieren.
Aufgrund von spezifischen Besonderheiten, findet auch ein Etikettieren bzw. Labeln statt [3].
Meistens aufgrund von Kriterien, die sich in irgendeiner Form außerhalb der breiten Norm befinden.
Lesbe, Schwuler, Transsexuelle(r), Autist(in), AD(H)S ect., das alles sind natürlich Labels.
Angehörige der LGBTQ+ Gemeinschaft, welche lange stark geächtet und tabuisiert wurde. Neurodiversität, ein Thema, dass immer noch als Randerscheinung gilt und erst in letzter Zeit größere mediale Aufmerksamkeit erfährt.
Beides Gruppen, über die viele Vorurteile und Halbwissen kursiert und
die nach wie vor viel um Verständnis, Akzeptanz, Rechte und Anerkennung ihrer Bedürfnisse kämpfen müssen.
Doch es ist auch grade die Unsichtbarkeit, die Unwissenheit fördert.
Labeln kann hilfreich sein, denn wir benötigen nun mal Begriffe, um etwas benennen und ausdrücken zu können. Labeln kann Vielfalt deutlich machen.
Zum Problem wird es, wenn solchen Labels voreingenommene, abwertende und negativ brandmarkende Stereotype zugeschrieben werden. Diese entstehen mangels Wissens, Bewusstseins und Achtsamkeit.
Was denken meine Mitmenschen über Hochbegabung?
Ich beantworte einige typische Fragen, die mir als Betroffene immer wieder begegnen.
Was bedeutet es für mich persönlich mich mit den Labels „hochbegabt “ und „hochsensibel” zu beschreiben?
Sie geben mir eine Möglichkeit zum eigenen Selbstverständnis.
In meinem Fall beschreibt es eine intensive Form von Wahrnehmung, Reizverarbeitung, und schnelle Informationsverarbeitung.
Es beeinflusst die Art, wie ich Situationen erlebe. Etwas, was mich im alltäglichen Miteinander mit anderen Menschen begleitet. Aber auch meine Persönlichkeit und mein Leben an sich, wie ich es gestalte.
Wenig Greifbares, aber subtil bemerkbares, bekam plötzlich einen Namen. Eigenarten, die mir an mir auffielen, bekamen Erklärungen.
Ich konnte mir mehr Wissen darüber aneignen, was für mich sehr wichtig war.
Nun war es möglich, vieles besser zu verstehen und einordnen zu können. Aufgrund des Kenntnisgewinn konnte ich mich meinen Bedürfnissen entsprechend einrichten.
Zum anderen ist es ein Mittel, um mich nach außen hin besser erklären zu können. Anderen verständlich zu machen, wieso ich so bin, was in mir vorgeht und warum ich etwas auf eine bestimmte Weise benötige.
Das Bild über (intellektuelle) Hochbegabung, was viele haben, entspricht häufig wenig der Realität, bzw.
zeigt es nur einen kleinen Ausschnitt von ihr.
Viele denken hier in erster Linie an sehr hohes Potenzial und Leistung.
So wird mir Hochbegabung stets von außen vermittelt.
Doch es ist etwas viel weitreichenderes.
Die Vielschichtigkeit hinter solchen Labels verstehen
Wie ist es für jemanden einer solchen Gruppe anzugehören? Menschen, die feststellen, dass sie Wesensmerkmale und Eigenschaften haben, die sie von der großen Mehrheit unterscheidet? Hinter einem solchen Label steckt etwas, das eine Person tiefgreifend beeinflusst und Auswirkung auf das grundlegende Erleben und Empfinden hat.
Vorurteile und mangelnde Aufklärung schaden
Eben die Konfrontation mit Vorurteilen, negativen Stereotypen und Erwartungen erschwert eine positive Entwicklung. Es wird von außen ein, falsches, unzureichendes oder ablehnendes Bild vermittelt. Dieses negative Feedback kann zu einen schlechten Selbstbild führen.
Da diese Menschen zu einer kleinen Minderheit gehören fehlen ihnen oft Orientierungsmöglichkeiten. Ihre Thematik ist im Allgemeinen wenig bekannt, was den Zugang zu Informationen erschwert.
Sie haben einen besonderen Schutzbedarf. Für Betroffene sind spezifische Bildung und Aufklärung existenziell für ihr Selbstverständnis.
Da Stereotypen stark vereinfachte und häufig auch vorverurteilende Darstellungen sind, ist es stets wichtig das schnelle Bild im Kopf bewusst zu überdenken und zu hinterfragen.
Auch Labels sind Begriffe und Konstrukte die nicht starr zu verstehen sind.
Zwar haben solche Phänomene bestimmte Gemeinsamkeiten, sind aber dennoch immer individuell und es handelt sich um ein Spektrum mit Facetten, Schattierungen und Ausprägungen mit fließenden Grenzen.
Denn kein Mensch gleicht dem anderen und sie lassen sich nun mal nicht in Schubladen stecken.
Es bedarf einer allgemeinen offenen Grundhaltung und Bewusstsein, über solche Phänomene.
Verständnis anstatt Vorurteile, denn es herrschen immer noch viele Missverständnisse und Unkenntnis. Diese Minderheiten brauchen Sichtbarkeit und Wissensvermittlung. Zum einen für sich selbst, um sich gut entwickeln zu können, zum anderen auch für gesellschaftliche Akzeptanz. Letztlich Voraussetzungen für eine gute mentale und physische Gesundheit und das Recht jedes Einzelnen.
Denn Vielfalt ist die Normalität und sie findet auf vielen Ebenen statt.
Auch heute wissen viele Menschen in meinem Umfeld nicht über meine intellektuelle Hochbegabung Bescheid. Schließlich steht es mir auch nicht auf der Stirn geschrieben. Immer noch wäge ich es sehr ab, ob ich dies erzählen möchte oder nicht. Und ich muss zugeben, es schwingt immer noch ein kleines Gefühl von Regen oder Traufe mit.
Regen: Erzähle ich davon, ist immer noch dieser Druck und diese Erwartungen da.
Traufe: Verschweige ich es, verschweige ich auch ein Teil von mir.
Vielleicht ändert sich das irgendwann.
siehe auch folgende Beiträge:
Neurodiversität- ich ticke anders.
Begabung, Intelligenz und hohe Leistungen- Wie hängt das zusammen?
Quellenangabe: +
1. Tanja G. Baudson. (2016): The mad genius steriotype are still alife and well”. Institute of Psychology. Educational and Psychological Assessment. University of Duisburg-Essen. Essen. Germany.
https://doi.org/10.3389/fpsyg.2016.00368 , abgerufen am 03.09. 2025
2. Sonja Zmerlin. Ofer Feldmann, (Hrsg.). (2022): Politische Psychologie: Handbuch für Studium und Wissenschaft. (2. Aufl.). Nomos Verlagsgesellschaft. Baden- Baden. S.315-321
3. Markus Antonius Wirtz (Hrsg.). Labeling. Dorsch Lexikon der Psychologie. Hofgrefe AG.
https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/labeling abgerufen am 03.09. 2025